Vorwort – Prolog des Autors
Ich wurde einmal gefragt, warum jemand dazu kommt, ein Buch zu schreiben. Noch dazu so ein Buch! Warum mache ich mir hierbei so große Mühe, strenge meine Phantasie an, feile an Textzeilen?
Es ist ganz einfach – es geht darum, eine Geschichte zu erzählen, eine Geschichte die ich mir schon lange vorstellte, bevor ich die erste Zeile schrieb. Es ist eine Geschichte über Aufstieg und Fall. Eine Geschichte die vor Klischees nur so trieft und dennoch ein Original ist. Es ist eine Geschichte über Macht und Ohnmacht, Lüge und Vertrauen, Liebe und Haß, Leben und Tod. Eine Geschichte die alles beinhaltet, was auch wir selbst besitzen. Doch sie soll nicht dazu dienen, um interpretiert zu werden. Und weshalb? Es ist vor allem eine Geschichte die einen fesseln soll, sie soll unterhalten so wie sie mich beim Schreiben unterhalten hat.
Jetzt wäre auch der richtige Zeitpunkt gekommen um irgendeine Widmung zu verewigen („Für [Name]“) doch dies wäre mir zu billig. Deshalb widme ich dieses Buch überhaupt niemandem, nicht einmal mir selbst. Was ich jedoch machen werde, ist mich zu bedanken. Ich bedanke mich bei meinen Eltern, meinem Bruder, meinen Freunden, Bekannten und Verwandten, nicht für Ideen oder eine Inspiration sondern einfach dafür, dass ihr seid wer ihr seid. Jeder den man trifft wird ein Teil deines Ichs und ihr seid ein großer Teil von mir. Ich denke ich muss keine Namen anfügen, ihr wisst wer ihr seid.
Wem dies alles noch immer nicht genug ist, der kann seinen Namen ja einfach selbst einfügen - Für………………………………………………………………….
Kapitel 1; Ein Erwachen - Metamorphose
„V |
erdammte Scheißer!“ hörte man ihn Brüllen. Er, die Legende, der Befreier, der Mörder, der Abschaum – gefangen wie ein Tiger im Käfig. Er, der Mann der von all den Bildern starrte. Er, der Mann der so geliebt wurde. Er, der Mann der so respektiert – er, der so gehasst wurde.
Wie musste er sich fühlen, er, der es gewohnt war, dass er das Sagen hatte. Sollte alles umsonst gewesen sein, viel mehr noch, hatte er die Dämonen die er besiegt zu haben glaubte zu neuem Leben erweckt. Er.
Er sprang gegen die Gusseiserne Tür. Einmal, zweimal, dreimal – harte dumpfe Aufschläge – er sank zu Boden, das Gesicht in den Händen vergraben. Nicht verrückt werden, kühlen Kopf behalten, es ist alles nur ein Missverständnis, so schoss es ihm durch den Kopf. Ja, ein Scherz! So musste es sein. Diese Trottel würden es ja wohl nicht wagen ihm, ihm der er die Macht hatte Menschen in hohe Sphären zu heben oder Herzen zu zerfetzen, einzusperren. Nicht nach allem was er getan hatte – was er für sie getan hatte.
Er begann sich zu beruhigen. Selbstbetrug und Verdrängung, die Wahrheit leugnen um so einige Momente der Ruhe zu erhaschen. Dies schien ihm nun vorteilhaft. Er rieb sich die Schmerzenden Glieder. So hockte er nun, zusammengesunken, die Knie angewinkelt mit den Händen umfasst, merkwürdig ins Leere starrend. Er spürte etwas, ein Gefühl aus längst vergangenen Zeiten. Aber war es ein Gefühl oder ein Geräusch? Hörte er sein Herz schlagen, den Puls rasen? Er kannte dieses Gefühl/Geräusch. Doch woher?
Langeweile – es war die Langeweile. Er wusste als Kind immer wenn er Langeweile hatte, nicht weil er es nur fühlt, er hörte es. Es war dieses Gefühl/Geräusch der Monotonie, der gespannten Erwartung die sich wohl niemals erfüllen würde. Dieses Sinnlose Warten auf etwas was nie stattfinden würde, warten auf Godot. Er erinnerte sich, wie er bei Eiseskälte mit seiner Mutter an einem Bahnhof stand. Es war Januar, kein Schnee weit und breit. Die Woche vor dem großen Frost war vom Föhn geprägt gewesen der den ganzen „Weihnachtsschnee“ hinweggefressen hatte. Er vergrub sich im Mantel der Mutter. Der Wind begann aufzufrischen und er merkte wie sich die Kälte durch die gefütterten Schuhe ihren Weg bahnte. Geborgen bei der Mutter. Zwanzig Minuten würde es noch dauern bis der Zug endlich eintreffen würde. Er hoffte inständig, die Zeit würde schneller vergehen, er sehnte sich nach dem warmen Wohnzimmer, heißen Tee und guten Essen. Auch seine Mutter schien dieselben Gedanken wie er zu haben oder sie ahnte zumindest was in ihrem Sohn vorging. So begann sie zu scherzen und ihn abzulenken doch die Stille kehrte wieder. Nur noch wenige Minuten. Und auf einmal dieses Pochen, das Loslösen von Raum und Zeit. Der Einstieg ins Dunkle, das Zeit verging war ihm entgangen. Er fühlte sich nicht mehr im Einklang mit den Mächten dieser Welt – losgelöst. Poch, poch, poch!
Er schreckte hoch, die Tür öffnete sich und herein kam ein alter Freund von ihm. Der Sicherheitschef – von ihm ausgebildet und installiert. In den Augen der beiden lag aber keine Freundschaft, nicht einmal Respekt. Es war der Moment an dem der Jäger seiner gefährlichen Beute gegenüberstand, beide bereit zu Leben, im Wissen, dass vielleicht beide Sterben würden. Wie lange hatten sie sich gejagt, sogar die Rollen hatten sie einige Male getauscht bis sich der Sicherheitschef endgültig als Jäger betrachten konnte.
„Hast du mich endlich, Reding? Komm, schlag mich, das wolltest du doch schon lange machen, oder? Töte mich, bringen wir es hinter uns und beenden dieses unwürdige Theater“ sprach der Gefangene. „Oh nein, mein treuer Freund, wir machen es ganz langsam, du wirst leiden wie dein Volk leiden musste, du bekommst den Prozess den du so vielen verwehrt hast und du weißt, am Ende wird keine Legende, kein Held oder Messias sterben sondern ein gebrochener Mann der seine Fehler öffentlich bedauern wird – der große Krieger wird nur mehr ein Häuflein Elend sein“, so lauteten Redings spöttische Worte und er fügte hinzu: „Ellen, Walter und all die anderen Verräter – es war herrlich sie sterben zu sehen im Bewusstsein das ihr Anführer sie verraten hatte“. Reding schüttelte lächelnd den Kopf und verließ die Zelle.
Sie waren tot? Er hatte ja damit gerechnet, doch nun hatte er die Gewissheit. Reding war zwar ein komplettes Arschloch aber darüber würde nicht mal er scherzen. Verdammt, er hatte sie nicht verraten. Er hatte ihnen doch oft genug gesagt, sie sollten verschwinden. Sie sollten doch das Geld nehmen und abhauen. Das war nicht mehr ihr Kampf – es war seiner. Doch nun, der Krieger zu müde um zu kämpfen? Zu viele Schlachten, zu viele Listen für ein Leben? Zu viele Freunde sterben gesehen, zu viele Freunde getötet? Zu hoch gespielt und alles verloren? Riè ne va plus - das Spiel des Lebens – riè ne va plus – das Spiel des Todes - nichts geht mehr.
Aber er war doch kein Versager. Er hatte nie versagt. Versagen als Schwäche – dies hatte er sich von frühester Kindheit an verinnerlicht. Nicht weil es seine Eltern wollten, nicht weil er es wollte sondern weil er es konnte. Er wurde auch zum Anführer seit er denken konnte, nicht weil er es wollte sondern weil er es konnte. Ein Gefangener seiner selbst.
Ach, wie einfach wäre es doch gewesen, wäre er nicht er selbst geworden. Eine hervorragende Kindheit hatte er gehabt. Nicht reich aber auch nicht arm – die typische untere Mittelklasse – Arbeiterkind. Sein Talent, sich Dinge schneller und leichter zu merken und anzuwenden als andere hätte ihn weit gebracht. Er hätte die Sachen die ihn störten, ihn zerstörten doch einfach auf sich beruhen lassen können. Sich mit dem Regime abfinden, einen Hochdotierten Job annehmen, heiraten, ein Haus kaufen, eine Familie gründen. Warten auf die Pension, Luxus genießen. Doch er konnte und wollte nicht und doch sehnte er sich gerade in den einsamen Stunden seiner Flucht immer nach diesem Leben das er hätte führen können. Von allen verlassen, verraten, verkauft und seiner Ideale beraubt.
Er stand auf und schaute sich um. Ein vergittertes Fenster durch welches das Mondlicht schien. Ein Tisch mit Holzsessel. Ein schmales Bett und daneben eine Toilette. Nicht, dass er nicht schon öfters eingesperrt gewesen wäre, doch nun wusste er, es würde für den Rest seines Lebens sein. Er war in einem Gefängnis ohne Wiederkehr, immerhin hatte er es bauen lassen und war an der Planung maßgeblich beteiligt. Wer wohl vor ihm in dieser Zelle war, ein hoher Regimevertreter, ein Dissident, ein unliebsamer Journalist oder ein Schwerverbrecher? Er wusste es nicht. Er legte sich auf das Bett und begann zu grübeln. Analytisches Denken, das brauchte er jetzt. Wie kam er in diese Situation. Verdammt, es war alles schon so weit entfernt, wie begann alles?
Fünfundzwanzigster Geburtstag, genau, das war es. Die Nebel begannen sich zu lichten. Er hatte gerade seinen Universitätsabschluss in der Tasche und arbeitete seit einigen Monaten für einen großen Konzern. Alle seine Freunde waren versammelt, nicht nur um den Geburtstag von ihm zu feiern sondern auch die Verlobung die er an diesem Tage offiziell bekannt geben würde. Da stand er nun im Kreise seiner Freunde – die Hälfte davon kannte er schon seit frühester Kindheit an, die andere Hälfte kam im Laufe der Zeit dazu.
Er kniete nieder vor ihr, der Frau seines Lebens. Stellte die Frage der Fragen. Bekam die passende Antwort. Es erhoben sich die Gläser, es wurde gefeiert. Die große Demonstration die durch die Straßen zog war sekundär. Auch als erste Schüsse fielen und das Rauschen der Wasserwerfer deutlich hörbar wurde fand niemand die Zeit oder die Mühe dazu, sich über diese Dinge Gedanken zu machen.
Der Alkohol ging zur Neige und man beschloss noch auswärts etwas trinken zu gehen – das mittlerweile eine Ausgangssperre verhängt wurde wussten sie ja nicht – sie hatten eben besseres zu tun als die Rundfunknachrichten zu verfolgen. So zog der ganze Tross Richtung Innenstadt, laut, fröhlich und betrunken. Doch schon auf der ersten Straßenkreuzung wurden sie an die Hausmauern, auf die Straße, an den Randstein gestoßen. Sie wurden getreten, bespuckt und angeschrieen. Das Militär hielt sie offensichtlich für Regimegegner – immerhin, kein Gesetzestreuer Bürger würde bei einer verhängten Ausgangssperre das Haus verlassen. Die Tritte störten ihn nicht, zumindest nicht an seinem Körper, rasend vor Wut machte ihm, dass seine Verlobte an den Haaren gezerrt und wie ein räudiger Hund durch die Gasse geschleift wurde. Er sprang auf und der verdutzte Soldat machte keine Anstalten ihn zu bändigen, Widerstand war die Ordnungsmacht einfach nicht gewöhnt. Sekundenbruchteile später sank der Soldat ohnmächtig zu Boden.
Sie befreien, egal wie, das war es, was ihm durch den Kopf schoss. Und ja, er konnte sie wegzerren, in die Seitenstrasse hinein. Die Soldaten hinter ihnen her doch sie würden schneller sein. Sie wollten schießen? Nein, die erschießen doch keinen, es waren zwar brutale Schläger aber immer noch Menschen. Und außerdem, sie hatten doch nichts verbrochen. Sie rannten und rannten und rannten. Das Getrampel der Soldatenstiefel wurde leiser und leiser. Abgehängt. In Sicherheit. Frei (frei?).
Völlig außer Atem blieben sie stehen. Sie sahen sich lange in die Augen, sie begann zu lachen, dieses befreiende und herzliche Lachen in das er sich einst verliebt hatte und er stimmte ein. Ein Moment für die Ewigkeit, sie scherzten, nun hätten sie endlich etwas für die zukünftigen Enkelkinder zu erzählen.
Sie küssten sich wie nur sie es konnten. Ein lauter Knall, Blutgeschmack im Mund. Sie war sofort tot, noch während sie sich küssten war sie tot. Getroffen im Hinterkopf. Er lief, schaute zurück und sah wie ihr immer noch Blut aus den Mundwinkeln sickerte – dasselbe Blut, das auch er immer noch im Mund schmeckte, ihr Blut. Jenes Blut, das ihr über das weiße Kleid mit den pastellfarbenen Blüten darauf lief und es rot färbte. Rannte um sein Leben, ließ ihren toten Körper in der schmutzigen Gasse zurück. Ihr Tod, sein Tod, die Geburtsstunde des Löwen in seinem Körper.
Er schreckte aus seinem Bett hoch. Ja, er konnte sich auf einmal wieder erinnern wer er war, wer er war vor diesem verhängnisvollen Tag. Viel mehr noch, er war nicht mehr derjenige der bekannt war. Er war wieder dieser junge Mann der er vor jener verhängnisvollen Nacht war. Das war es, was sich tief in ihm drinnen mehr und mehr abzeichnete. Das war der Grund warum sie ihn schnappten. Nichts mehr übrig von der einstigen Härte, der berechnenden Kühle, des feurigen Charismas – nur mehr er – Harry, benannt nach seinem Urgroßvater. Jüngstes Kind von Dreien. Der Sohn eines Bergwerksprengmeisters und einer Sekretärin. Er, unsicher, fröhlich, hilfsbereit, intellektuell und aufrichtig. Er, der es schaffte einfachste Dinge kompliziert auszudrücken und komplizierte Dinge zu vereinfachen. Er, friedlich und harmoniebedürftig.
Sie hatten sich auf einer Party kennen gelernt. Er war zu dieser Zeit mit einer anderen zusammen, drei Jahre hatte diese Beziehung schon auf dem Buckel. Und doch wusste er, als er sie sah, sie sei die Frau fürs Leben. Noch ohne ein Wort mit ihr gesprochen zu haben. Noch ohne sie so nahe gesehen zu haben dass er die Farbe ihrer Augen hätte erkennen können ließ er seine Gesprächspartner links liegen. Ging auf sie zu. Sprach sie unsicher und mit dem für ihn typischen verlegenen Lächeln eines Kindes an. Das seine Freundin bei ihr zu Hause auf ihn wartete hatte plötzlich keine Relevanz mehr für ihn. Sie schien nicht mehr zu existieren. Sie unterhielten sich, er versuchte sie zu lesen, doch es gelang nicht.
Nun auf dem Tisch sitzend begann Harry nun zu lachen. Ja ja, Menschen lesen zu können. Das hatte er immer gerne behauptet. Schon als 15jähriger behauptete er ständig er würde mit den Menschen nicht nur reden sondern sie gleichzeitig auch lesen. Sie lesen, was bedeutete das? Ihre Mimik, ihre Gestik, die Bewegungen der Augen beobachten? Die getätigten Aussagen kritisch hinterfragen? In die Seele schauen? Was es auch war, er hatte das Gefühl er konnte es. Bei ihr nicht. Nicht ein einziges Mal. Nicht einmal im Augenblick ihres Todes. Er hatte die Raufbolde in der Schule gelesen, Freundinnen die häufig wechselnden, die erste lange Beziehung (vor ihr), das Regime, Staatsmänner und Kopfgeldjäger, alle hatte er lesen können, bloß sie nicht. Das war mit Ein Grund warum sie ihn so faszinierte, warum er sie so liebte. Sie blieb für ihn immer ein mysteriöses Wesen, nicht zu berechnen, nicht zu kategorisieren – schlicht und einfach, sie stellte sein Weltbild auf den Kopf – nicht zu lesen.
Sie unterhielten sich bis zum Ende der Party, der Tag brach herein und zerschnitt mit seinen ersten Sonnenstrahlen die Reste der Nacht. Betrunken vom Alkohol (und er hatte sehr viel getrunken) und doch nüchtern wankte Harry zurück. Nicht zu seiner Freundin, zu ihm heim. Er hatte einen Schatz in der Hosentasche und den galt es zu hüten. Ihre Telefonnummer, in wackeliger Schrift auf einen Fetzen Papier. Doch dieses Stück Papier hätte er um nichts auf der Welt eingetauscht. Kein Geld der Welt, nicht alle Macht die man sich erträumen könnte, ja nicht einmal die heilige Bundeslade wäre ihm so wertvoll gewesen.
Betrunken und doch nüchtern? Er sah nun die Dinge völlig klar. Es würde nicht mehr zählen was er hatte, was er konnte oder wo er war, solange nur sie dabei war. Die Vernunftbeziehung zu seiner Freundin, sie hatte doch schon längst ihren Reiz verloren, sofern sie jemals einen Reiz hatte. Alle seine Zukunftssorgen, hinweggespült, vertilgt. Wenn er die Augen schloss hörte er ihre Stimme, sah er ihr Gesicht, ihr Lächeln, vernahm die Tonlage ihres Lachens, roch den Geruch ihres Parfüms. Vergnügt vor sich hin lächelnd torkelte er weiter, im Bewusstsein endlich etwas völlig neues in seinem Leben entdeckt zu haben was er vorhin nur vom Hörensagen kannte. Endlich etwas Neues, und er hatte schon geglaubt er würde alles kennen was diese Welt zu bieten hatte.
Das gleiche Lächeln wie damals, im betrunkenen Zustand, war nun auf einmal in Harrys Gesicht und hätte ihn jemand dabei beobachtet, so hätte er sicher gesagt dieses Lächeln habe die gesamte Gefängniszelle erhellt. Er fühlte sich frei, als würde er auf einen Berggipfel stehen und alle weltlichen Dinge hinter ihm gelassen haben. Keine Anzeichen mehr von einer Persönlichkeit seines Kalibers. Nur ein älterer Herr der sich an den Beginn der ersten und einzig wahren Liebe erinnert. So schlief er ein.
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