Miguel de Cervantes
Kapitel 2; Hochmut und einstürzende Mauern
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in kahler Raum, Zigarettendunst und verschiedene Lichtquellen. Keine Fenster, keine Bilder, keine Schränke, großer Spiegel.
-„Jericho!“
(Gelächter)
-„Was ist ihr Beruf?“
-„Ich bin Präsident dieses Landes!“
(erneutes Gelächter)
An dieser Stelle bekam Harry eine schallende Ohrfeige. Erster Tag des Verhöres, Aufnahme der Personalien für das Protokoll. Nun war Harry nicht mehr Harry, er war wieder der große Rebell, der Anführer, der ehemalige Präsident, bekannt unter seinem alten Decknamen aus dem Untergrund – Jericho. Wieso Jericho? Jericho nannte er sich in Anspielung auf die biblischen Mauern von Jericho, die die Hebräer mit ihren Trompeten einstürzen ließen. Und so wie die Mauern von Jericho einstürzten, so würde auch das verhasste Regime einstürzen. Nur die Form der Trompeten würde eine andere sein, man konnte sich schließlich nicht auf die Hilfe des abstrakten Begriffes Gott verlassen. Das Regime würde in Rauch und Blut (ihr Blut?) zusammenfallen, so viel war sicher.
-„Okay, wir tragen einfach Harald Goosens ein, ich weiß ja wie du heißt“ ließ Reding der am anderen Ende des Verhörtisches saß verlautbaren. Es folgten noch weitere Fragen, weitere unzureichende Antworten und weitere Ohrfeigen. So ging dies nun mehrere Tage hindurch.
Je mehr die Folterungen zunahmen, desto mehr stieg Harrys bzw. Jerichos Stolz. Harry war nun nicht mehr vorhanden, dieses verletzliche, unsichere und liebenswerte Wesen das Harry ausmachte musste wieder dem großen Jericho weichen. Ihm, der er die Mauern einst zum einstürzen brachte. Ihm, der so viel Leid erfahren hatte. Ihm, der anderen so viel Leid zufügte. Der Eine Schlag war zu hart, Jericho stürzte vom Stuhl, er war ohnmächtig, Blut rann aus seinem Ohr. Krankenstation.
Weiche, weiße Wolken aus Watte, der Duft von Herbst, dieser modrig frische Geruch von frisch gefallenen Blättern umgab ihn. Die Schmerzmittel hatten ihre Wirkung wohl nicht verfehlt. Benommen von seiner Verletzung und den Drogen ließ er sich fallen, flüchtete in sein tiefstes Inneres. Was hatte er zu erwarten? Etwas Besseres? Er hörte sie, sie schrie auf.
Ja, die Verabredung in der Eislaufhalle. Der Tag, an dem sie sich zum ersten Mal küssten. Sie war gestürzt – wie ein Käfer auf dem Rücken lag sie nun auf der Eisfläche. Harry war alsbald zur Stelle um ihr auf zu helfen, doch sie hatte etwas ganz anderes im Sinne. Sie zerrte an seinem Arm, so dass auch er Sekundenbruchteile später am Eis lag. Unverständnis lag in seinem Gesicht (derartige Signale hatte er noch nie auf Anhieb verstanden) doch bevor er den Moment mit einer leicht beleidigten Rede zerstören konnte zog sie seinen Kopf zu ihr und küsste ihn während Kinder, sichtlich amüsiert von diesen beiden Eislauftechnischen Nichtskönnern, ihre Bahnen um sie zogen. Heißer Kuss auf kaltem Eis. Die Gegensätze die zu einem Ganzen, einem Gegebenen, Vorherbestimmten Verfließen. Bruchlinien der Konvergenz. Konvergierende Gefäße, sich austauschend. Symbiotische Vorgänge. Kein Zurück mehr. Lautsprecherdurchsage.
Er erwachte aus seinem Traum, wie viel Zeit war vergangen? Wollte er erwachen? Wäre es nicht viel schöner gewesen an diesem Ort der Vergangenheit zu sein? Mehr Medikamente! Doch nein, er musste wieder in die reale Welt zurückkehren. Nicht treiben lassen sondern gegen den Strom schwimmen. Heftig ausholen, Stromschnellen durchqueren, sich nicht vom stechenden Schmerz aufhalten lassen. Leben.
Die Verhöre begannen auf das Neue, diesmal jedoch ohne Folterungen. Reding wusste genau, das er damit nicht viel erreichen würde. Je nach Fragestellung bekam er so zum einen hochmütige oder herablassen Antworten von Jericho oder aber ehrliche Antworten von Harry. Reding war nicht umsonst Sicherheitschef dieses Landes. Er war ein fähiger Mann, fähig und gewitzt. Wie hätte er sonst so oft die Seiten wechseln können? Wie hätte er sonst Teil des Regimes sein können? Wie hätte er sonst zu einem der wichtigsten Informanten des Untergrundes werden können? Wie hätte er sonst zum Vertrauten und Freund Jerichos werden können – wie hätte er sonst eine führende Rolle im Sturz Jerichos spielen können und wie wäre es ihm sonst möglich gewesen das auf Überleben spezialisierte Tier Jericho zu schnappen? Die alte Ordnung, Jericho der Kämpfer, der Krieger, der Volkstribun und Reding der Meister der Marionetten, der Patient der den Therapeuten therapiert und manipuliert.
Wie dem auch sei, die Tage vergingen, Ordner füllten sich mit Material, der Alltag kehrte ein. Die Wärter redeten nun mit Harry, sie hatten die Furcht vor dieser Ikone verloren und wo vorher die Furcht saß fand man nun Neugierde. Harry machte dies nichts aus. Er hatte immer schon gerne geredet und andere mit seinen Geschichten in Staunen versetzt. Er lebte sich schön langsam aber sicher in seiner Gefängniszelle ein und auch im Verhörzimmer fühlte er sich mehr und mehr heimisch. Nun bekam er sogar Zigaretten, dann und wann eine Flasche Bier und das Essen wurde von Tag zu Tag besser – die Haftbedingungen wurden erträglicher. Der Häftling Jericho wurde allmählich zum Gefangenen Harry Goosens
Kapitel 3; Fragen und Antworten
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r stand auf einen Berg. Na ja, nicht wirklich ein Berg, eher ein größerer Hügel. Es war Mitte September und die Dämmerung brach langsam herein. In den Konvergenzlinien zwischen Tag und Nacht verbreitete der Herbst seine gesamte Macht. Es erschienen Farben am Himmel die er im Tale noch nie gesehen hatte. Orange, Purpur, Violett – all diese Farben vermischten sich um ihn und mit ihm. Er war Teil dieses Farbenspieles. Auch die Luft roch anders, würzig und kraftvoll, als wäre er in einem Kardamom-Lagerhaus in Südindien. Traumland.
Er war nicht alleine hier. Alle waren bei ihm. Ellen, Walter, Paul, Joe, Iseah, Angela und Reding. Sie saßen nur ein wenig abseits von ihm. Er kniete sich auf den Boden, berührte den feuchten Boden. Zuckte zusammen. Ein elektrischer Schlag. Nun stand Ellen vor ihm. Seine rechte Hand. Sie, die von Anfang an Mitglied der Revolution war, noch vor Harry/Jericho. Sie, die stets alles andere über sie selbst gestellt hatte, nur für andere, für ihn, da war.
Ellen:„Warum hast du mich nicht geliebt?“
Harry:„Weil ich nicht konnte“. Jericho:“ Wir hatten Wichtigeres zu tun.“
Ellen:“ Wann haben wir begonnen Fehler zu machen?“
Harry: „Von der ersten Minute an.“ Jericho: „ Niemals“
Ellen: „Haben wir gewonnen?“
Harry: „Ich weiß es nicht.“ Jericho: „Ich weiß es nicht.“
Ellen: „War die Zerstörung von allem was wir aufgebaut hatten meine Schuld?“
Harry: „Nein, es war meine.“ Jericho: „Nein, es war meine Schuld.“
Er schüttelte den Kopf, der Wind frischte auf, Ellen war wieder bei den anderen. Ein Traum! Ja es war ein Traum, dies war Harry noch während er träumte bewusst. Sein Unterbewusstsein gab ihm die Change mit seinen Freunden zu sprechen. Doch er musste sich zusammennehmen, es war nicht fair mit zwei Stimmen zu sprechen, er durfte es sich nicht so einfach machen. Harry/Jericho musste so ehrlich sein und mit einer Stimme sprechen – seine zwei Personen miteinander in Einklang bringen.
Ein Falke zog seine Kreise über ihn. Das musste nun Walter sein, denn so hatte er ihn immer gesehen. Ein Falke, frei, kraftvoll und voller Dynamik. Der Falke landete und wurde tatsächlich zu Walter. Walter, der ihn selbst in die Hölle gefolgt wäre. Walter, der stets der loyalste war. Walter, der ihn stets am meisten kritisierte. Sein Bruder im Geiste, sein Bruder in der Revolution, sein Bruder im Tode.
Walter: „Hatte ich dich nicht gewarnt?“
Harry/Jericho: „Du hattest mich gewarnt, doch ich konnte dir nicht mehr glauben.“
Walter: „Konntest du nicht oder wolltest du nicht?“
Harry/Jericho: „Beides. Du warst ein Auslaufmodell, du hättest den Krieg in dir beenden sollen als er vorbei war. Du warst derjenige der Schulden hatte, nicht ich.“
Walter: „Was hat uns entzweit?“
Harry/Jericho: „Dein Tod, die Macht, die Umstände. Alle Ziele die wir erreicht hatten, hatten uns geformt. Nur dich nicht. Du bist immer derselbe geblieben. Du konntest einfach nicht aufhören. Du schriest immer noch nach Blut, als alle Adern leer waren.“
Walter: „War es also meine Schuld?“
Harry/Jericho: „Nein, es war meine Schuld.“
Nun war Paul an der Reihe. Er hatte diese Intellektuellenbrille auf der Nase. Anders kannte man ihn gar nicht. Er war der Philosoph der Revolution, der Ideologe.
Paul: „Wie geht es dir?“
Harry/Jericho: „Besser als dir, ich lebe, du bist tot.“
Paul: „Leben meine Ideale weiter?“
Harry/Jericho: „Ja, zum Teil leben sie weiter aber es mussten Konventionen eingegangen werden.“
Paul: „Waren diese Ziele zu hoch gesteckt?“
Harry/Jericho: „Sie waren Utopia, ein Versprechen das wir nicht halten konnten.“
Paul: „War es also meine Schuld, dass wir unsere Ideale verraten hatten, weil wir sie nicht realisieren konnten?“
Harry/Jericho: „Nein, es war meine Schuld, weil ich sie nicht realisieren konnte.“
Paul lächelte und ging zu den anderen und gab Joe zu verstehen, dass er an der Reihe war. Joe näherte sich, doch wahrte gute zwei Meter Abstand. Er war immer der Distanzierteste gewesen. Unnahbar, undurchschaubar. Der Sohn eines Konzernleiters inmitten proletarischer Rebellen und Träumern. Er war der Dieb, der Kriminelle der Gruppe, er finanzierte alle anfänglichen Unternehmungen nach seinem Einstieg, zum einen mit abgezweigten Geldern seines Vaters, zum anderen mit blutigen Überfällen. Er war es, der die Waffen besorgte, Kontakte knüpfte, Kompromisse aushandelte.
Joe: „Warum habe ich nicht auf dich gehört als du sagtest wir sollten verschwinden?“
Harry/Jericho: „Weil du niemals auf irgendjemanden gehört hast. Schon gar nicht auf mich.“
Joe: „Weißt du wie es ist, tot zu sein?“
Harry/Jericho: „Nein, ich lebe, sag du es mir.“
Joe: „Nicht jetzt. Hast du uns wirklich im Stich gelassen oder konntest du uns nicht mehr helfen?“
Harry/Jericho: „Jeder war für sich selbst verantwortlich. Ich hatte zu dieser Zeit keine Macht mehr über das Schicksal. Du wusstest das.“
Joe: „Bist du also nicht Schuld an meinem Tod?“
Harry/Jericho: „Nur im selben Ausmaß wie du selbst.“
Joe verzerrte wütend das Gesicht und verschwand aus der Szenerie, dies war wohl nicht die Antwort die er hören wollte. Harry/Jericho sprang auf um ihm zu folgen doch Iseah legte die Hand auf seine Schultern. Ja, Iseah war bei ihm, der einzige von ihnen, der niemals jemanden ermordet hatte. Das Lamm auf dem Thron, ausgezogen um die Bestie zu besiegen. Nicht mit Waffen, sondern mit Worten und seinem Glauben an das Allmächtige, das Geistige, Gott. Er wäre ein guter Präsident geworden, gütig und auf Gerechtigkeit bedacht. Es wäre die Erfüllung seiner Vorhersehung gewesen. Er war Geistlicher und schloss sich ihnen an, damit diese Revolutionäre auch die Macht Gottes respektieren würden wenn sie das gottlose Regime erst vertrieben hätten.
Iseah: „Wir sind alt geworden, mein Weltreisender, meinst du nicht auch?“
Harry/Jericho: „Ja, viel Zeit ist vergangen seit damals in Valencia.“
Iseah: „Glaubst du noch?“
Harry/Jericho: „Ich habe immer geglaubt, doch mein Glaube war ein anderer als deiner.“
Iseah: „War er besser?“
Harry/Jericho: „Nein, anders.“
Iseah: „Es war nicht deine Schuld, denn wir lenken nicht unser Geschick, wir sind nur die Werkzeuge einer höheren Macht.“
Harry/Jericho: „Ich danke dir, auch wenn ich dies nur als tröstende Worte bezeichnen kann.“
Angela betrat die Szenerie. Sie war keine eigentliche Revolutionärin gewesen. Der bloße Umstand, dass sie die Tochter von Ellen war und zwischen den blutbefleckten Kriegern der Revolution aufwuchs machte sie zum wichtigen Teil der Gruppe. Sie war sozusagen die Tochter der Revolution – fleischgewordenes Sinnbild für Erneuerung.
Angela: „Wieso hast du meine Mutter immer verletzt?“
Harry/Jericho: „Weil für sie kein Platz in meinem Herzen war.“
Angela: „Lag es an der anderen, die, die damals erschossen wurde?“
Harry/Jericho: „Ja, als Anna starb, starb meine Fähigkeit die Liebe zu lieben. Deine Mutter wusste das, wollte es aber nicht wahrhaben.“
Angela: „Liebtest du daraufhin nur noch den Hass.“
Harry/Jericho: „Nein, aber er wurde ein treuer Freund. Merke dir: Der Hass wird dich niemals verlassen.“
Angela: „Hat er dich angetrieben?“
Harry/Jericho: „Anfänglich schon, doch dann zerstörte er mich. Du siehst also, ein zweischneidiges Schwert.“
Angela: „Glaubst du, ich hasse dich?“
Harry/Jericho: „Nein, du kannst mich nur nicht mehr besonders gut leiden.“
Harry/Jericho wurde nervös (ja, selbst im Traum kann man nervös werden). Jetzt fehlte nur noch Reding. Doch er passte nicht zu jenen die bei ihm Vorsprachen. Er hatte doch alle auf den Gewissen. Reding, der einzige noch Lebende neben ihm. Was wollte dieser Judas nur hier?
Gut, er war ein wichtiger Teil der Revolution gewesen. Doch er fraß die Revolution wie ein Krebsgeschwür das befallene Organ.
Harry/Jericho: „Was suchst du hier?“
Reding: „Dasselbe wie du, Antworten auf Quälende Fragen.“
Harry/Jericho: „Warum hast du sie getötet?“
Reding: „Weil sie Feinde des Systems waren, unseres Systems. Gabst nicht du mir einst freie Hand bei der Bekämpfung contrarevolutionärer Tendenzen?“
Harry/Jericho: „Ja, aber ich hätte nicht geglaubt, dass du sie gegen die Revolution selbst auslegst. Sie waren doch auch deine Freunde, oder?“
Reding: „Ich habe nur einen Freund, das revolutionäre System. Weißt du noch woher ich diesen Spruch habe?“
Harry/Jericho: „Von mir. Doch war es das alles wert?“
Reding: „Ich weiß nicht, ist es das alles wert? Frag doch nicht mich großer Anführer.“
Harry/Jericho: „Wirst du mich auch töten?“
Reding: „Ja, du hast es verdient. Ich habe es verdient. Wir alle die wir hier versammelt sind, die wir hier im Netz der Spinne sind und waren werden nicht friedlich sterben oder starben nicht friedlich. So ist das nun mal. Wirst du weg sein, so werde ich das nächste Opfer der Revolution werden. Weißt du nicht, die Revolution frisst ihre Kinder! Erst wenn wir weg sind, können die Menschen hier in Frieden leben. Deshalb müssen wir alle sterben. Und du wirst vor mir sterben, weil ich dir einen Schritt voraus war. Nimm es nicht persönlich, auch ich bin bald dran.“
Harry schreckte hoch aus seinem Bett. Nun begriff er.
1 Kommentar:
@ passt hier zwar nicht rein aber dein letztes Posting habe ich gelöscht; ist zwar a hammerlyric aber wir hatten so ein lyric posting mit auszügen aus texta songs gerade einmal und man sollte es ja nicht übertreiben - am besten einfach ins forum stellen, da sind eh schon ein paar andere lyrics zu finden und ich denke, wir stellen deshalb auf der hauptseite nur mehr artikel rein ;)
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