Die große und gemeine Arbeitswelt, unendliche Qualen der Langeweile und doch: Miguel de Cervantes, 10 Monate des Jahres Student, verbringt einen Teil seiner "redlich" verdienten Ferienzeit als gewöhnlicher Arbeiter in einer Fabrik. Da ich nun weiß, dass meine Leser quer durch die Bank richtige Sozialvoyeuristen sind, habe ich mich dazu entschlossen, eine kleine Zusammenfassung eines durchschnittlichen Arbeitstages während der Nachtschicht (ja, ich gebs mir gleich hardcore, wenn schon Arbeiten dann gleich in einem Schichtmodell) - natürlich ohne Details zu nennen die der Verschwiegenheitspflicht unterliegen (denn hierbei muss man wirklich vorsichtig sein):
21:55 Uhr: Ich erreiche die Fabrik, die Stempelkarte durch den Schlitz gezogen führt mich mein erster Weg an den für Raucher vorgesehen Platz. Einige der Arbeitskollegen stehen schon paffend und finster dreinblicken da und ich geselle mich, ebenso paffend und finster blickend zu ihnen - kurze Worte des Grußes, bedeutungsvolles Nicken, die Sirene ertönt pünktlich um 22 Uhr und wir schleppen uns gemächlichen Schrittes in die Fabrikshalle.
22:05 Uhr: Organisiertes und planvolles Einrichten des Arbeitsplatzes, ein gut organisierter Arbeitsplatz erleichtert die Arbeit ungemein und schützt vor Haltungsschäden, kurzer Smalltalk mit dem Einsteller und schon beginnt meine produktive Phase.
24:00 Uhr: Nach 2 Stunden harter Arbeit genehmige ich mir eine kleine Zigarettenpause (offiziell als Pinkelpause getarnt - aber hey, wer glaubt das schon, kein Mensch pinkelt 6 Minuten lang). Draußen treffe ich 2 weitere Arbeitskollegen die wohl auch eine "Pinkelpause" eingelegt haben, bedeutungsvolles Nicken, kurzes gejammere über die schon wieder gestiegenen Produktionszahlen, wiederum finster dreinblicken
00:14 Uhr: Zum ersten Mal in meinem 21 jährigen Leben soll ich einen Handstapler betätigen. Dies gelingt mir als Nicht-Techniker natürlich sofort vorzüglich. Zum Gaudium sämtlicher Arbeitskollegen und der Einsteller benutze ich dieses Ding falsch herum, streife sogleich 3 Kisten die an der Seite stehen und fahre fast einen unschuldigen Arbeiter einer anderen Abteilung der gerade den Weg quert über den Haufen (Anm.: einen Handstapler schiebt man, so ein Gerät hat keinen Motor und deshalb nennt man es ja auch Handstapler). Die gesamte Abteilung findet meine Amokfahrt mit diesem Ding anscheinend komisch und so sorge ich zu nachtschlaffener Zeit wenigstens für etwas Spaß - nur der 55 jährige Arbeiter aus Bosnien betrachtet mich mit einer Mischung aus entsetzen und erstaunen. Wider erwarten gelingt es mir dennoch, die für meine Arbeit benötigten Paletten mit diesem Ding an meinen Arbeitsplatz zu transportieren.
01:27 Uhr: Es ist nicht immer leicht, ich selbst zu sein. Leider gehöre ich zu den Menschen, die viele Dinge des Lebens erst auf die harte Tour bzw. am eigenen Leib erfahren müssen um sie auch zu glauben. Nichtsdestotrotz lerne ich in dieser Minute eine sehr wichtige Lektion: Schmierstoffe auf Metallteilen ist eine gute Idee, Schmierstoffe in den Augen ist eine scheiß Idee! Ich lasse mich kurz bemitleiden/auslachen und lege sogleich eine, diesmal wirklich begründete" "Augenauswaschpause" ein - einige Minuten später erscheine ich wieder, mein rechtes Auge ist zwar etwas gerötet aber ich bin nicht sehbehinderter als sonst (als kurzsichtiger Mensch ist man eine Sehbehinderung ja ohnehin gewöhnt)
02:00 Uhr: Eine halbe Stunde Pause. Sofort geht es ab an den für Raucher vorgesehen Platz und heizt sich eine Zigarette an. Die Stimmung ist nun weit aufgelockerter. Ein lustiges Gespräch mit einem arabischen Arbeitskollegen entspannt sich in deren Verlauf er von "pumpen" spricht. Nach einiger Zeit komme ich dahinter, dass sich hinter diesem ominösen "pumpen" wohl das Wort "poppen" verbirgt. Im Sinne der Mitarbeiterbildung kläre ich ihn natürlich sofort über seinen sowohl semantischen als auch pragmatischen Irrtum auf und lerne ihm nebenbei noch ca. 12 andere, teilweise dialektgefärbte, Ausdrücke für Sex. Das ist wahre Solidarität, sogar bei der Arbeit kann man besonders im interkulturellen Kontext voneinander lernen - im Gegenzug lernt er mir 2 arabische Wörter die "Sex" bedeuten, die ich aber schon eine halbe Stunde später wieder vergessen habe.
02:30 Uhr: Pausenende - die Arbeit beginnt von Neuem
03:11 Uhr: Mein zweiter Kontakt mit einem Handstapler. Meine hinterlistigen Arbeitskollegen starren mich in freudiger Erwartung eines abermaligen "Miguel-kann-den-Stapler-nicht-bedienen" Spektakels an doch ich muss sie enttäuschen, dieses Mal klappt es auf Anhieb. Als keiner mehr hinsieht fahre ich mir mit diesem Gerät über die eigenen Füße - kurz bevor ich einen gequälten Schrei ausstoße bemerke ich, dass mir gar nichts dabei passiert ist. Nun weiß ich auch weshalb ich bei der Arbeit Sicherheitsschuhe anhabe - diese Dinger bewahrten mich vor einem Zehenbruch. Um sicher zu gehen und die Funktionalität dieser Arbeitskleidung erneut zu testen fahre ich mir nochmals, diesmal aus experimentellen und wissenschaftlich fundierten Gründen, mit voller Absicht über die Füße - wieder ist mir nichts passiert, seit diesem Zeitpunkt bin ich ein wirklicher Fan von Arbeitsschuhen.
03:37 Uhr: Müdigkeit macht sich schön langsam quer durch die Bank breit und damit auch ein kleines Maß an Gereiztheit. Nach einem knappen und beidseitig, wohl stress- und müdigkeitsbedingt, nicht ganz höflich geführten Gespräch höre ich von einem Kollegen der ursprünglich vom Balkan stammt ein bösartiges: "Ich ficken DEIN Freundin". Da ich mich durch so etwas nicht zu blödsinnigen Kommentaren verleiten lasse übergehe ich diese Provokation einfach, indem ich ihn einmal mehr im Sinne der Mitarbeiterbildung aufkläre, dass der pragmatisch, semantisch und syntaktisch richtige Ausspruch eingentlich "Ich ficke deinE Freundin!" lauten müsste. Meinen Bemühungen zum trotze wiederholt er diese bösartige Provokation erneut (diesmal jedoch richtig - meine Bemühungen schienen gefruchtet zu haben) und ich antworte mit einem grinsenden Gesicht: "Klar machst du das, sie ist ja deine Ehefrau!" (ist klar, nicht sehr schlau und subtil aber irgendwas muss man ja auf die Schnelle sagen) - als Resultat erhalte ich kurz ein erstauntes Gesicht und danach beginnen wir beide zu lachen, also kein Grund zum Stress, wir verstehen uns wieder im besten kollegialen Sinne und ziehen wieder unserer Wege.
04:00 Uhr: Zigarettenpause (ohne eine Zigarette zu rauchen) - ich "schnappe" nach frischer Luft und sehe in den Sternenhimmel, dazu das dröhnen der Maschinen und der Luftabsaugpumpen, eine eigenartige aber auch faszinierende Stimmung. Natürlich ist ein Sonnenuntergang am Meer oder auf einem Berg weit romantischer aber so ein Fabriksgelände bei Nacht hat auch seinen Charme. Ich begebe mich nach kurzer Zeit wieder an den Arbeitplatz und gebe noch einmal so richtig Gas.
05:14 Uhr: Die letzte Arbeitsstunde ist angebrochen, jetzt scheint die Zeit nur mehr dahinzukriechen, von meinem Arbeitsplatz aus beobachte ich einen arabischen Arbeitkollgen der sich nun schon die sechste Tasse Kaffee einverleibt, mir schaudert, ich trinke dieses Gesöff nicht und bin wohl der Einzige der die ganze Nacht ohne koffeinhaltige Getränke gearbeitet hat.
06:00 Uhr: Schichtwechsel, es ist wieder einmal geschafft, die Stempelkarte durch den Schlitz gezogen und es geht nach Hause wo ich mich erst einmal für eine Viertelstunde unter die Dusche stelle um danach mindestens 10 Stunden zu schlafen. Immerhin wartet gegen Abend wieder die nächste Nachtschicht von dreien in Folge auf mich - puto dineiro.
Miguel de Cervantes
Samstag, Juli 30, 2005
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11 Kommentare:
hähä, bis zur 500er frage kommst auch DU ;)
jaja, wie geschrieben, puto dineiro; dieses posting war ja keine suderposting wie man deinem comment entnehmen könnte sondern einfach eine art bericht
nein, der ausdruck sklave ist mir weit lieber, aber du kannst gern eine hure des systems sein - jeder wie er will
philosphisch, fein ;)
und ich bin mir sicher jemand DA DRAUSSEN schreit jetzt wieder mal "Weg mit dem Scheiß-System"
ja die hippies habens uns vorgelebt und es tut mir leid das sagen zu müssen: "Scheiß auf die Hippies, scheiß´auf die ´68er! Ja, sie hatten alle mal wirklich gute Ideale, ja sie hatten ein bisschen was erreicht doch wer ist nun am hebel der macht? Genau, ebendiese hippies und ´68er die wegen der kohle alle ideale verraten haben und nun ärger als das establishment sind, gegen das sie einst waren"
yeah, und einmal mehr eine überstimmung, benski, das ding mit dem diskurs funktioniert wirklich! habe immer geglaubt sowas wäre nur ein theorethischer müll
lass meine jesuslocken in ruhe - oba eigentlich; früher hatte ich die nicht, oiso zu alten kindergartenzeiten ned (da müsstest dich eh auch noch erinnern) und zu meinen langhaarzeiten auch nicht; najo, wahrscheinlich liegt das am alter, mit mir gehts ja a schon bergab ;)
najo, rein vom alter her nimma oba bei deinem benehmen das du an den tag legst kommst mir halt schon oft a bissl vorpupertär vor (i sog nur: der sterbende schwan); na blödsinn, weißt eh dass ich nur a bissl ungut zwecks da motzerei bin, kennst mich ja doch schon fast 18 jahre
Haaaaaaallooooooooooo
Du und technische Arbeit, kann man sich ja fast nicht vorstellen :) Pass halt ein bisschen auf mit dem "Handstapler", kannst ja nicht einfach "unschuldige" überfahren
Hähä, was ist daran so schwer vorstellbar - immerhin richte ich ja auch mein bike immer selbst her und das ist gar nicht so einfach ;)
Außerdem verdiene ich bei einem Bürojob in dieser kurzen Zeit nicht soviel wie beim Schichtarbeiten und da ich ja noch auf Urlaub fahren möchte (da hamma eh mehr als einmal darüber geredet) muss ich halt jetzt 6 wochen in den sauren apfel beißen und wirklich arbeiten. Alles halb so wild und die Sache mit dem Handstapler... ja, da tu ich mir wirklich a bissl schwer aber bis jetzt sind noch keine wirklichen Opfer zu beklagen - alles in allem schlage ich mich ja sehr tapfer ;) (und außerdem isses ja ned das erste mal, dass ich in der Industrie arbeite)
Okay, gestern wars soweit, ein "Unschuldiger" wurde überfahren, ich überfuhr mich selbst ;)
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