Heute erzähle ich eine Geschichte die selbst Kafkas Käfer, was die Thematik der Metamorphose betrifft, zur Bagatellstory macht. Ich erzähle die Geschichte des ehemaligen Neinsagers. Der ehemalige Neinsager (später kurz eN genannt) war eine widerliche Person. Er sagte wie der Name des eN schon aussagt immer und überall nein. Es war egal worum es dabei ging, zu politischen Entscheidungen kam ein "NEIN", zum Umweltschutz ein großes "NEIN", zu Menschenrechten - "NEIN", zu seiner Freundin "NEIN", zu sich selbst - "NEIN" und sogar auf die Frage in einer Bar, ob er etwas trinken möchte kam ein schamloses "NEIN" aus seinem Stimmapparat.
Nun könnte man sagen, dieser eN wäre vielleicht ein besonders kritischer Mensch oder ein Querulant der ersten Stunde der bewusst alles verneinen würde um damit zu provozieren oder Zeichen zu setzen. Doch dem war beileibe nicht so - der eN war ein dummer, ganz und gar unintelligenter Mensch und aus diesem Grund, und einzig aus diesem Grund, sagte er überall "NEIN" - weil er es nicht besser wusste.
Doch auch der ärgste Neinsager kommt irgendwann an den Punkt, an dem er fast gezwungen ist, seine unproduktive und unsympathische Leidenschaft zu unterbrechen. Bei unserem eN geschah dies in einem Einkauszentrum. Verwunderlich - immerhin konnte unser eN Einkaufszentren ja gar nicht ausstehen, er sagte ja "NEIN" zu Einkaufszentren, doch trotz all der unbegründeten Ressentiments des eN verschlug es ihn dorthin.
Eine neue Welt erschloss sich ihn. Er sah soviele Waren, Produkte und Dienstleistungen die genauso sinnlos erschienen wie seine Neinsagerei das er gar nicht anders konnte. Entgegen seiner Gewohnheit sagte er "JA" - "JA" zu schlechten CDs, "JA" zu einem Zahnstocherspender in Hasendesign, "JA" zu Hollywoodfilm-DVDs, "JA" zu einen iPOD und "JA" zu einem Fitnessstudioabo. Wieder zu Hause fühlte sich unser eN zuerst gar nicht gut. Er zweifelte an sich, hatte er doch all seine nicht vorhandenen Ideale ("NEIN" zu Idealen) gegen kommerziellen Krimskrams verkauft. Doch es gab auch ein zweites Gefühl, etwas was er nicht kannte, er war zufrieden.
Natürlich, die Verwandlung vom Neinsager zum glücklichen Konsumenten geht nicht an einen Tag. Auch Kafkas Käfer wurde nicht über Nacht zum Insekt. Hierbei war sorgsames Vorgehen nötig. Doch kein Psychologe oder Therapeut führte den eN schließlich und endlich zu einem stabilen und glücklichen Konsumentenleben. Es war die Werbung und die internationale Kulturindustrie, zwei wahrlich göttliche Errungenschaften des Kapitals. Sie führten den eN langsam aber bestimmt ein in die fabelhafte Welt des anonymen Zwangseinkäufers bzw. den zufriedenen und glücklichen Konsumenten (um die ganze Sache ein Wenig kritikloser zu sehen).
Der eN und nunmehrige Konsument war glücklich. Nun brauchte er nicht mehr "NEIN" zu sagen, alles was er tun musste war zu kaufen. Kaufen, kaufen und noch einmal kaufen und dadurch zur Stütze, zum wichtigen Mitglied der Gesellschaft, zu einem geachteten Staatsbürger zu werden. Und siehe da, er konnte sich wirklich alles kaufen, von komischen technischen Geräten bis zu einem Image. Natürlich, er musste nun länger und härter arbeiten aber immerhin wusste er nun wofür, der Konsum gehört finanziert und dies regelt sich nicht von selbst.
Heute traf ich den eN zufällig in einem nahegelegenen Einkaufszentrum. Ich freute mich ihn zu treffen, denn seit er nicht mehr "NEIN" sagt ist er ein wirklich wundervoller Mensch geworden. Leider konnten wir nur kurz miteinander reden denn er hatte es eilig. Schlussverkauf - sie verstehen hoffentlich. Doch wenigstens hatte er eine gute Erklärung für seinen Streß parat. Sie müssen wissen, unser eN hat sich wieder einmal ein neues Image gekauft. Eines von diesen modifizierbaren, ganz neu, ganz modern. Und mit diesen Images verhält es sich so, dass man noch gewisse Dinge hinzufügen kann. Unser eN hatte es auf Identität abgesehen - denn Identität war heute um 40 % billiger zu erwerben gewesen.
Samstag, April 23, 2005
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1 Kommentar:
... ich will auch kaufen :)
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