Freitag, Mai 06, 2005

Das rätselhafte Ding

Es traf mich wie ein Donnerschlag, ich glaub es war ein Donnerstag. Friedlich und im Einklang mit der Welt stapfte ich durch die Straßen, aus meinen Headphones dröhnte fröhliche Ska-Musik und die Vögel, die nun endgültig aus dem Süden zurückgekehrt waren zwitscherten (was ich ja nicht hörte, weil ich ja meine Headphones aufhatte, aber ich bin mir sicher das sie zwitscherten). Außerdem begannen die Blumen zu blühen und es war bis dahin ein perfekter Tag. Bis ich gegen etwas stieß. Etwas aus Glas. Etwas rundes. Etwas das ca. zwei Zentimeter dick war. Etwas das auf jeder Seite zwei Einkerbungen hatte. Etwas sonderbares.

Eigentlich bin ich Hypochonder und bilde mir so ziemlich jede nur erfindbare Krankheit ein und hebe deshalb auch nichts auf was ich auf der Straße finde. Es könnten ja merkwürdige Bakterien oder ein neuartiges, tödliches Virus darauf sein. Der Teufel muss mich geritten haben, denn entgegen meinen Gewohnheiten ergriff ich dennoch dieses Ding. Ich beschloss, dass es ein Aschenbecher sein würde und steckte es ein. Ein Aschenbecher - leider Gottes bin ich ja Raucher und habe demnach immer Bedarf nach solchen Periphalien. Durch das platzsparende Einstecken ging ich sogar so weit, dieses Ding die Funktion eines "Reiseaschenbechers" zuzuweisen.

Wieder zu Hause angelangt begann ich zu experimentieren (natürlich erst nachdem ich dieses Ding in Desinfektionsflüssigkeit eingelegt hatte) und nach ca. drei Packungen Zigaretten und einem mehr als unbequemen Gefühl der Kurzatmigkeit und Übelkeit musste ich einsehen - mein "Reiseaschenbecher" war kein "Reiseaschenbecher".Dem Tode durch Lungenkrebs um drei Päckchen Zigaretten näher und einer Erkenntnis weiter legte ich dieses Ding ab und kümmerte mich nicht mehr darum. Meine Welt schien in Ordnung zu sein.

Schweißgebadet erwachte ich in der folgenden Nacht. Dieses Ding dessen Name und dessen Funktion ich nicht kannte verfolgte mich im Traum. Nun erkannte ich, dass ich keine ruhige Minute auf Erden mehr haben würde, bis ich endlich dieses Ding erforscht hätte. Nach einer Tasse heißer Milch mit Honig und einem Liter Baldrian zur Beruhigung glitt ich wieder ab ins reich der Träume. Am nächsten Morgen beschloss ich diese Sache mit dem Ding zu lösen.

Wann immer meine beruflichen Verpflichtungen es zuließen suchte ich nun Freunde und Bekannte auf. Jedem und jeder unter diesem Kreis hielt ich dieses Ding unter die Nase, drehte es, wendete es, klopfte darauf herum und benutzte es als Kreisel. Doch niemand schien zu wissen um was es sich dabei handelt und außer halbwitzigen, destruktiven Antworten wie z. B. es könnte sich um ein Monokel für einen Zyklopen handeln kam ich keinen Schritt weiter. Ich begann zu weinen doch auch dies half nichts, das Ding ließ sich auch durch meine Tränen nicht erweichen seine Identität preiszugeben.

Es folgten nächtelange Recherchen im Internet, ich suchte verschiedene Geschäfte auf (vom Elektrogroßhandel bis zum Baumarkt) doch keiner konnte oder wollte mir auf meinen steinigen Weg zur Erkundung des Dings helfen. Ich begann Flugzettel mit meiner Telefonnummer und dem Versprechen von einer stattlichen Belohnung für sachdienliche Hinweise überall im näheren oder weiteren Umkreis zu verteilen. Ich plakatierte Risike Plakate an Litfaßsäulen . Jedoch, der einzige Effekt hieraus war, dass mich reichlich perverse Spinner anriefen und mir zwölf entlaufene Katzen sowie ein VW-Polo, Baujahr 1977, dakotabeige angeboten wurde.

Mein Leben litt unter diesem Ding. Nacht für Nacht erwachte ich schweißgebadet, gehetzt in meinen Träumen und bei Tage war es auch nicht besser - ich konnte dieses Ding nicht mehr aus meinem Gedächtnis verbannen. Dunkle Augenringe, gereizte Stimmung und nervöse Zuckungen waren die Folge hieraus. Ich reiste in die Schweiz, zum internationalen Patentamt. Dort bestach ich den Archivar mit einer neuen Archivierungssoftware und machte mich sogleich an den Akten zu schaffen. Wochenlang verbrachte ich so im Archiv des Patentamtes und wunderte mich über so manche Erfindung, nur mein Ding war nicht zu finden.

Nun wurden auch die Medien auf mich aufmerksam. Man schleppte mich von Talkshow zu Talkshow (meistens zum Thema: "Freaks und ihre unmöglichen Hobbies") aber außer der Bekanntschaft zu sehr fragwürdigen Personen brachte mir dies auch nichts. Ich war fertig, gebrochen, ich war am Ende.

Doch ich rappelte mich noch einmal auf. Nein - nicht mit mir! Ich lasse mich nicht unterkriegen, ich bin ein Mensch, ich bin intelligenter als dieses Ding! So nahm ich es eines Tages aus meiner Hosentasche, nahm Anlauf und warf dieses Ding in hohen Bogen von mir. Es segelt davon, über ein Hausdach und mit ihm meine ganzen Sorgen und Neurosen. Ich war befreit. Etwas geschah mit mir was seit diesem unseligen Tag an dem dieses Ding in mein Leben trat nur mehr selten geschah, ich war zufrieden, ich lächelte - ich war glücklich. Zehn Minuten jubelte ich noch auf der Straße und macht mich dann auf den Weg zu einer Bar, dort wollte ich meinen Triumph gebührend feiern. Es wurde nichts daraus - ich wurde festgenommen. Grober Unfug und fahrlässige Körperverletzung lautete die Anklage. Denn was ich nicht wusste - dieses komische Ding, dass ich von mir stieß landete nicht etwa in einer Wiese oder auf der Straße sondern auf dem Kopf eines Pensionisten. So stand ich nun vor dem Richter. Ich war mir meiner Schuld durchaus bewusst. So begann der Richter: " Der Angeklagte wird des Verbrechens bezichtigt, den Geschädigten durch den Wurf eines Milchkochläuters..." mehr hörte ich gar nicht mehr. Es war ein Milchkochläuter - man legt dieses Ding in einen Topf mit Milch und wenn die Milch kocht beginnt es Krach zu machen. Dadurch wird man alarmiert bevor die Milch übergeht und es hat den positiven Nebeneffekt, dass sich keine Haut bildet. Ich sprang auf, einmal mehr in Jubelpose. Natürlich zerrten mich die Gerichtsdiener gleich zu Boden und ein kleiner Tumult entstand. Als sich die Gemüter wieder beruhigten erzählte ich meine Geschichte. Der Richter war ein netter Kerl und auch der Pensionist ließ sich durch meine Geschichte erweichen. Ich kam mit einer starken Verwarnung davon. Ich war glücklich und bin es seitdem. Wenn ich wieder so ein Ding finden würde, dessen Name und Funktion ich nicht weiß, werfe ich es einfach auf einen Pensionisten. Gerichte arbeiten gründlich und erkunden die Identität jeder Tatwaffe - selbst recherchieren ist absolut nicht notwendig.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Gratuliere! Das ist einmal eine wirklich gelungene Geschichte.

Miguel de Cervantes hat gesagt…

Thanx

Anonym hat gesagt…

na fein, pensionisten bewerfen tz tz tz - das schaut dir wieder ähnlich :)

Miguel de Cervantes hat gesagt…

Hey, jeder Mensch braucht ein Hobby ;)