Der Autor, also ich, reist sehr gerne mit dem Zug. Er mag die ruhige, nahezu kurvenlose Fahrt genauso wie die Lautsprecherdurchsagen an Bahnhöfen. Er mag es, dass man im Zug sehr viele unterschiedliche Menschen trifft, alte, junge, schöne, häßliche, arme, reiche... Er ist ein wahrer Fan der Eisenbahn. Aus diesem Grund fährt der Autor auch des öfteren mit der Bahn und wie es sich halt so ergibt, ist der Autor nicht nur ein Fan der Eisenbahn sondern auch der Musik. Deshalb findet man ihn auch immer (und damit meine ich auch immer) wenn er nicht gerade mit jemandem im Gespräch ist mit Headphones in den Ohren vor. Er hört nicht nur Musik, er hört sie vor allem laut denn nur mit einer ansprechenden Lautstärke kann Musik ihr wahrliches Potential entfalten. So auch vor kurzem.
Nichts ahnend von den folgenden Aufregungen und tumultartigen Begebenheiten betrat ich eines Tages den Zug Richtung heimwärts. Vorbei an Kinderwägen die zwischen den Abteilen abgestellt wurden fand ich auch sogleich einen ansprechenden Sitzplatz. Den Rucksack von den Schultern genommen und erst einmal so richtig auf den gepolsterten Sitz breit gemacht überkam mich von neuem, wie jedes mal, dieses Gefühl der schläfrigen Zufriedenheit mit diesem Reisegefährt und dem öffentlichen Nahverkehr. Der Zug kam in Bewegung und mit dem leichten holpern auf den Schienen und dem Sound am Ohr glitt ich langsam aber kontinuierlich ins Reich der Phantasie, der Gedanken über besonders wichtige Dinge und dem Blick in die ausgefüllte Leere ab. Es war so wie es immer war wenn nicht gerade ein Gesprächspartner oder noch besser, eine Gesprächspartnerin zugegen war.
Ein wütendes Gesicht riß mich aus meinem abbdriften ins Undeutliche. Ich sah dieses Gesicht zwar, dass wohl auf mich einredete, daran bestand kein Zweifel, aber reagierte nicht, zumahl ich ja auch nicht hörte was dieses wütende Gesicht mir zu sagen hatte. Ich wendete etwas betreten meinen Kopf ab, zuckte mit den Schultern, lächelte peinlich berührt und machte mir darüber keine Gedanken. Fast wäre ich wieder in meine Traumwelt gesunken wenn nicht auf einmal dieses wütende Gesicht, nun in Form eines wütenden Anzugsträgers auf einmal vor mir erschienen wäre. Aha - wenn er schon aufsteht und zu meiner Sitzreihe vorkommt könnte ich mir ja wenigstens einmal anhören was er zu sagen hätte. Meine Headphones wurden also aus dem Ohr entfernt und mit einem höflichen "Wie Bitte?, in Erwartung durch meine Höflichkeit für ein bisschen Beruhigung zu sorgen reagierte ich auf diesen Schreihals. Weit gefehlt, denn als Antwort bekam ich nur ein aufgebrachtes: "Dreh sofort deine Affenmusik leiser, sonst passiert etwas!". Damit hatte ich nicht gerechnet, doch wenn dieser Mensch gemeint hatte, er könnte mich oder mein Verhalten dadurch beeinflussen dann hatte er weit gefehlt. Fatale Fehleinschätzung mit den Drohgebärden.
Zum einen bin ich höflich und erwarte mir deshalb auch Höflichkeit was ja niemals ein Fehler ist, zum anderen bin ich nicht der Mensch der sich leicht einschüchtern lässt, schon gar nicht von Anzugsträgern mit Bierbauch. Zwar dem Pazifismus verhaftet gehe ich dennoch kaum einer Konfrontation aus dem Weg. Also gab es von mir nur eine Antwort auf dieses unwirsche Verhalten des Anzugsträgers: "Ich denke nicht, dass ich es leiser drehen werde und nun - auf Wiedersehen!". Dies untermalte ich noch mit einem provokanten Grinsen aber der Anzugsträger gab wohl nicht auf. Immer ärger sprang er herum wie ein Rumpelstilzchen und schön langsam drangen seine Schimpfworte durch meine Headphones hindurch. Das "Take on me" Cover von "Reeel Big Fish" (also ein Ska-Cover) konnte und durfte einfach nicht von diesen unflätigen Wörtern gestört werden, deshalb, nicht ohne eine gewisse Genugtuung und Provokation glitt mein Finger an den Lautstärkeregler, drehte nun die Lautstärke auf wirklich voll auf, stellte dazu noch den Bass eine Stufe höher und schon war nichts mehr zu hören. Ich fühlte mich wie ein Rebell, wie ein moderner Mahatma Ghandi der den gewaltlosen Widerstand für seine Rechte einsetzt. Das Recht auf genußvolles Musik-hören. Ich fühlte mich wie ein Held, ich, der Student aus der Arbeiterschicht hatte diesen Rolex und Armani tragenden Anzugs-Krawattenträger gezeigt, wie weit er mit seinem ungebührlichen Verhalten kommen würde (um eines klarzustellen, bei höflicher Frage ob ich die Lautstärke ein wenig drosseln könnte, hätte ich dies zwar nicht wirklich verstanden, aber ich hätte aus Gründen der Rücksicht dem Folge geleistet).
Mein passiver Widerstand zeigte Wirkung und der wütende Typ ging wieder an seinen Platz. Sieg auf der ganzen Linie - breites Grinsen in meinem Gesicht. Der Zug blieb stehen, ein paar Leute stiegen aus und nun war das Abteil fast leer. Während Manu Chao mit seiner Band Mano Negra nun den Song about "Love&Hate" in meinen Headphones zum Besten gab, geschah das unfassbare. Eine Aktentasche wurde in meine Richtung geschleudert. Der Anzugsträger. Hätte ich nicht jahrelang hobbymäßig Basketball und Tischtennis gespielt und dadurch meine Reflexe geschärft wäre mir das Ding wahrscheinlich voll gegen die Kinnlade gebrettert. So konnte ich dieses heimtückische Attentat abwehren und mehr noch, ich entschloss zwar nicht mit gleichen Waffen jedoch mit der mir zur Verfügung stehenden Waffe der "Konsequenz" zu antworten. Also tat ich das einzig Richtige das ich in meiner Situation tun konnte. Nein, ich warf das Ding nicht zurück, ich will ja keinen verletzen, nicht einmal bösartige Bonzen. Ich drückte einfach meine Headphones noch provokativer gegen mein Ohr, stand auf, packte die Aktentasche, öffnete das Fenster, winkte dem Bierbauch, begann zu lachen, öffnete die Aktentasche und warf sie mitsamt dem Inhalt aus den Zugfenster. Und wieder einmal hatte ich gewonnen denn die ganzen Dokumente die nun in der Landschaft herumflogen (ich entschuldige mich hiermit für die Umweltverschmutzung aber dies war einfach erforderlich) schienen wirklich wichtig für diesen Idioten zu sein. Naja, wie sagt man so schön: "Mess with the best, die like the rest!" Mit meiner Reaktion hatte er sicherlich nicht gerechnet. Doch auch die nachfolgenden Ereignisse kamen mir surreal vor.
Der Anzugsträger sprang mit einem Urschrei auf mich zu, mit wildem und zerstörerischen Blick und er hätte mich fast gepackt, wäre ich nicht seinem Hechtsprung im letzten Augenblick ausgewichen. Gewaltloser Widerstand hin, gewaltloser Widerstand her, dieser Typ schien irre zu sein und mit Aussitzen der Situation war nun wirklich nichts mehr zu erreichen. Also flüchtete ich, der Anzugsträger hinter mir her, ich verließ das Abteil und konnte die Türe zuhalten doch nach kurzer Zeit riss er sie auf, ich lief weiter (Gott sei Dank bin ich ein wahnsinnig schneller Läufer) und so ging es dann die ganze Zeit dahin, von Abteil zu Abteil. Aber ich hatte den richtigen Soundtrack dafür im Gepäck, denn mit "Guerilla Radio" von "Rage against the machine" läuft es sich einfach besser. Minuten vergingen und ich wusste, dass meine Haltestelle gleich kommen würde und da war sie auch (die letzten dreißig Sekunden hatte ich mich auf der Toilette des Zuges versteckt) - ich öffnete die Tür, rempelte den verdutzten (und ganz schön fertigen weil nicht sportlichen) Anzugsträger um, sprang aus dem stehenden Zug und wurde von der Sonne und der Freiheit empfangen, der Bierbauch natürlich hinter mir her aber jetzt hatte er keine Chance mehr. Leichtfüßig wie ein kenianischer Marathonläufer joggte ich gemütlich auf und davon und ließ einen verschwitzten, dem Herzinfarkt nahe stehenden und wütenden Bonzen hinter mir. Dazu noch die Ska-Version des alten Hits "Walking on sunshine" und schon war die ganze Sache erledigt.
Einmal mehr - ich war der Sieger :)
Mittwoch, Mai 18, 2005
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