Journalistische Schützenhilfe im Politinterview

Ein Unding verbreitet sich seit Jahren über die mediale und politische Landschaft und wächst von Wahlkampf zu Wahlkampf. Jene politischen Nichtaussagen und verwässernden Umschreibungen, mit denen der Rezipient bei sämtlichen medial verbreiteten politischen Diskussionen konfrontiert wird. Ein Beispiel gefällig: „Mit wem wollen Sie koalieren?“ Antwort: „Mit jedem Partner, mit dem eine konstruktive Zusammenarbeit möglich ist!“ Erneute Frage: „Doch mit der [Partei] wollen Sie nicht, oder?“ Erneute Nicht-Antwort: „Wie ich schon gesagt habe… mit jedem Partner, mit dem eine konstruktive Zusammenarbeit möglich ist!“… Dieses Spielchen könnte man jetzt noch eine Zeitlang weiter ausdehnen, doch ich denke, man kann sich vorstellen, wie dies wohl weitergehen würde.

Nun könnte der Rezipient das Zepter der Macht, die Fernbedienung, schwingen und den Kanal wechseln. Damit könnte er weitere Minuten der Polit-Langeweile umgehen und durch Enterainment-Langeweile eintauschen. Oder aber: der Rezipient könnte sich über diese, durch Spin-Doktoren getrimmten, Politiker aufregen. Doch dies wäre im Grunde genommen, in diesem speziellen Falle, das falsche Feindbild.

Der Job eines Politikers bei einem Fernsehauftritt ist es nun einmal, auf der Mattscheibe ein Wenig zu lächeln, sein Image zu verbessern und auf keinen Fall Ecken und Kanten zu zeigen – wenn er eine breite Masse ansprechen will. Denn die breite Masse spricht man eben mit leicht-verdaulicher Kost an und dazu eignen sich rührselige Geschichten oder eine Selbstbeweihräucherung besser, als es konkrete Aussagen tun würden. Also: Politiker/Innen machen im Grunde nur ihren medialen Job, wenn sie uns langweilen.

Die wahren Schuldigen an solchen Nicht-Aussagen sind unfähige Journalisten als Interviewer. Jene Journalisten, die immer die selben Fragen stellen, auf die sie immer die selben Nichtaussagen erhalten. Wieso fragen sie auch bloß immer nach Sachen, von denen sowieso feststeht, dass sie keine Antwort darauf erhalten werden? Und bohren mit Samthandschuhen noch ein Wenig nach, um das selbe Nichtergebnis zu erhalten? Wollen sie so einfach die Sendezeit rumkriegen? Fallen ihnen keine Fragen ein, auf denen Politiker/Innen nicht von vornherein perfekt vorbereitet sind, sodass sich die Möglichkeit ergibt, dass sie beinahe spontan antworten? Wodurch sich so etwas, wie eine Meinung ableiten lassen könnte?

Eine Meinung, die nicht jeden Tag in roten Lettern in irgend einer Zeitung steht. Eine Meinung, die man nicht jeden Sonntag beim Spaziergang hervorholt und strapaziert. Eine Meinung, die nicht durch die Bierlachen von Lokalen gezogen wird. Eine Meinung, die man nicht ständig wechselt, wie sonst nur Socken und Boxer-Shorts!

Journalist/Innen agieren in diesem Fall zumeist, wie der etwas nervige, aber dennoch loyale Freund der Politiker/Innen. Als würden sie ihnen mit einem Augenzwinkern mitteilen: „Ja, ein bisschen zwicken tu ich dich schon. Aber eh nicht fest. Nur soviel, dass man sieht, dass ich dich ein bisschen zwicke… damit wir die Rezipienten noch ein Wenig mehr verarschen, während wir von ihnen bezahlt werden!“

Auch Journalismus ist ein Produkt, wenn wir uns schon in der freien Marktwirtschaft befinden. Man mag das sinkende Niveau der Journalist/Innen zum Teil dadurch erklären, dass für mediale Güter, die oftmals als Akerlof-Güter bezeichnet werden, scheinbar wenig Kapital zur Verfügung steht, weil sich eine Finanzierung über Preise oftmals nur schwer erzielen lässt und dadurch unweigerlich das Niveau ins Trivial gesenkt wird. Doch jene hochbezahlten Journalist/Innen, die Interviews mit Politgranden führen, fallen wohl kaum unter das Klischee des finanzschwachen, freiberuflichen Journalisten, der seinen Journalistenjob nur als Nebenjob zu einer „echten“ Arbeit bestreiten kann.

gracias por estar ahì

Miguel de Cervantes

ps: dieses Posting stellt übrigens Posting 300 auf diesem Weblog dar!