Die mediale Berichterstattung um "Ausschreitungen" bei Demonstrationen nahm in den letzten Tagen Ausmaße an, die, in abgeschwächter Form, an den Beginn des 21. Jahrhunderts erinnerten. Gerade zu dieser Zeit war die Thematik "Gewalt und Demos" eine brisante, die immer wieder dazu benutzt wurde um Leitartikel und Titelseiten zu füllen.
Die Medien und der öffentliche Diskurs steigerten sich beinahe paranoid in Bedrohungsszenarien durch "linke Chaoten", "gewaltbareiten Anarchos" und einer ominösen Gruppe, die den bedrohlichen Namen "Black Block" erhielt. Akribisch wurde bei jeder kleineren und größeren Demonstration davon berichtet, wieviele Festnahmen, wieviele Verletzte, wieviel Schaden entstanden ist. Die Gründe für die jeweiligen Demonstrationen gingen dabei unter. Es erschien, als wären Demonstrationen ein bloßes Alibi für Straßenschlachten. Der tragische Höhepunkt war die HINRICHTUNG des jungen Italieners Carlo Giuliani am 20. Juli 2001 im Rahmen von Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua - ein Verbrechen, welches die spanische Ska-Band "Ska-P" in einem ihrer Songs, "Solamente por pensar", musikalisch betrachtete. Weiters rekonstruierte Giuliano Giuliani, der Vater des Ermodeten, die Ereignisse vom 20. Juli 2001 im Film "Quale Verita´ per Piazza Alimonda?" ("Was passierte auf der Piazza Alimonda?").
Doch spätestens seit den Terroanschlägen des 11. Septembers wich die Furcht vor "Chaoten" dem Schreckgespenst des Terrorismus. Mit all den zerstörerischen Auswirkungen, die jene Anschläge und die Reaktion hierauf auslösten.
Jetzt kann man natürlich einwenden, dass ein Vergleich der medialen Berichterstattung um die großen Demonstrationen zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit jenen der vergangenen Tage hinkt. Und natürlich tut er das, betrachtet man nur die Größe und Bedeutung der Proteste. Würde man den Vergleich an diesen beiden Faktoren versuchen, so würde es sich verhalten, wie das bekannte Sprichwort mit den Äpfeln und den Birnen.
Aber in einer Sache hinkt der Vergleich nicht: Denn wie damals weichen die Gründe der Demonstrationen in der medialen Berichterstattung der Sensation von vermeintlicher und tatsächlicher Gewalt. Egal ob auf Seiten der Demonstranten oder Polizei. Wieder stehen Festnahmen, Berichte von "blutigen Schlachten", Angstmache und Sensationsgier im Vordergrund. Der Auslöser der jeweiligen Demonstration, jener Grund, weshalb die Menschen von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen, wird verdrängt und pervertiert zur Randnotiz. Leider nicht nur im reichweitenstärksten Printmedium des Landes, sondern auch in Printprodukten, die sich gerne das Mascherl der "Qualität" umbinden.
Darf also, laut meiner Kritik, nicht von etwaigen gewalttätigen Auseinandersetzungen berichtet werden? Klar darf davon berichtet werden - finden solche Vorkommnisse tatsächlich statt, so sind sie als Tatsache aufzufassen. Aber wenn hiervon berichtet wird, dann darf das Dogma der Sensation nicht den ursprünglichsten Wert eines Mediums, der Information, übergeordnet werden. Die Berichterstattung muss in einer sensiblen und ausgewogenen Art und Weise erfolgen. Wer über Gewalt berichtet, muss sich auch mit den Ursachen der Gewalt beschäftigen und sie darstellen - wiewohl auch hier mit Vorsicht vorgegangen werden muss, da die "Ursachenforschung" nicht zu einer Entschuldigung für Gewalt umgewandelt werden darf. Alles andere ist bloße Hetze und zündeln mit dem Feuer.
Wißt ihr, verehrte Leserinnen, geehrte Leser und geneigte Sozialvoyeuristen, warum in den letzten Tagen demonstriert wurde?
gracias por estar ahì
Miguel de Cervantes
Freitag, Jänner 12, 2007
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